Ich habe heute etwa drei Monate lang gelebt.
Kennst du das? Es gibt Jahre wie Kaugummi, die vergehen einfach nicht. Und es gibt Tage, die enthalten fast ein ganzes Leben. Zeit ist eine multidimensionale Sache, so einfach ist das. Und ebenso schwer und verwirrend. Was ist passiert? Auf Facebook die Info gefunden, da gibt es einen Film in der ZDF-Mediathek... Was mich aufhorchen ließ, war die Person, die das gepostet hat. Ich mag diesen Menschen unglaublich. Also „Ein Mann namens Ove“ geschaut. Das Genre wie so oft völlig daneben beschrieben: „Comedy, Drama“. Wie bitte? Eine Dramödie, was sonst! Ein Film für Romantiker, Melancholiker, Sanguiniker, Zyniker und Fatalisten. So greift man eine möglichst große Zielgruppe ab. Meine Kritik geht an diese Benennung, an nichts anderes. Regie: Hannes Holm – merke ich mir. Hauptdarsteller: Rolf Lassgrd – merke ich mir besonders. Ich werde hier nicht – wie man heutzutage sagt – spoilern. Stattdessen beschreiben, was mit mir beim Eintauchen in dieses Meisterwerk passiert ist: Manchmal treten in unser Leben Dinge, Tatsachen, Tiere oder Menschen, die wir uns nicht erklären können und die uns trotzdem weiterbringen. Dieser Film hat mich zerlegt in meine Einzelteile. Ich habe mich gesträubt, ich habe gehadert, ich habe geweint, ich habe gelacht, ich habe – einen Bruchteil davon verstanden, was das Mysterium Biografie, was das Mysterium Mensch ausmacht. Und dann hat mich dieser Film wieder zusammengesetzt, in einer geklärten Version meiner selbst. „Ein Mann namens Ove“ versöhnt mich mit dem Egoismus der Menschen, mit ihrer „Unmenschlichkeit“– wer hat dieses Wort erfunden? – ich begreife zum Tausendsten Mal: Der Mensch ist gut. Der Mensch hat einen guten Kern und in jedem Individuum ruht ein göttlicher Kern. Oder anders ausgedrückt: So schlecht und verloren kann die Welt nicht sein, solange es solche Filme und Schauspieler wie Rolf Lassgrd gibt, die den ganzen, unfassbaren Gefühlskosmos so authentisch verkörpern. Ich verneige mich vor Fredrik Brackman, dem Autoren des ursprünglichen Buches und vor allen Leuten, die diesen Film möglich gemacht haben. Dennoch möchte ich nach reiflicher Überlegung unbedingt eine Trigger-Warnung hinzufügen: Wenn dich die Themen Suizid und Suizidversuch stark belasten, ob wegen eigenen Erlebnissen oder Erfahrungen aus dem Familien- bzw. Freundeskreis, dann schau’ dir bitte „Ein Mann namens Ove“ nicht an! Es kommen harte Szenen vor. Neulich stand ich auf einer Wiese und habe gezaubert.
Ich habe eine weiße Feder vor mir schweben lassen. Dazu richtete ich einen imaginären Zauberstab auf die Feder. Mehr musste ich nicht tun. Weiße Federn sind Zeichen der Engel. Seitdem ich das weiß, finde ich ständig welche. Besonders flauschige Federn nehme ich in die Hand und puste sie in die Luft, begleitet von einem Segen oder einem Gebet. So, und letzte Woche habe ich dabei noch gezaubert. Vorher hatte es geregnet und nun schien die Sonne. Es war sommerlich warm und ich befand mich auf einer Lichtung im Wald. Hätte ich noch ein weißes Kleid getragen, wäre es perfekt gewesen, wie im Märchen. Minutenlang schwebte die Feder vor mir. Ich war selbst überrascht, dass es funktionierte und dachte dabei: „Du liebe Zeit, wenn das jemand beobachtet...“ Jedoch schnell schaltete sich mein Verstand ein und vermeldete: „Du selbsternannte Fee, komm’ mal wieder runter. Das hier liegt nur daran, dass es geregnet hat vorhin und nun die Sonne den Boden aufheizt. Dadurch steigt die über dem Boden befindliche Luft nach oben und lässt deine Feder länger schweben als gewöhnlich. So einfach ist das“. Ja, so einfach war das. Aber es gab diesen klitzekleinen Moment, in dem ich berauscht und fasziniert war: „Wow, es klappt wirklich!“ Richtig glauben konnte ich es allerdings dennoch nicht und die Antwort auf meine Unsicherheit kam prompt. „Du selbsternannte Fee, komm’ mal wieder runter.“ Trotzdem, den Zauberstab habe ich am Rande der Lichtung vergraben und wenn die Zeit reif ist, hole ich ihn wieder hervor. So einfach lasse ich mich nämlich nicht entmutigen... Abgrenzen ist nicht meine Stärke.
Übergriffigkeit bringt mich noch oft in die Ohnmacht. Manchmal kann ich sehr schlagfertig sein, aber meist nur, wenn ich von dem auszutragenden Konflikt emotional nicht betroffen bin. Sogar mir eine Scheibe von einer anderen Person im sprichwörtlichen Sinne abzuschneiden erscheint mir wie ein Gewaltakt. Ich bin ein Bambi und gehöre eigentlich in den Wald. Da könnte ich mit den anderen Bambis Klee fressen und gemeinsam Strategien entwickeln, den Jägern erfolgreich zu entwischen. Ich würde den Rehen beibringen zu bellen und zu knurren, dann wäre auch das Problem mit den Hunden gelöst. Könnt ihr euch ein zähnefletschendes grummelndes Reh vorstellen? Uns bringt das vielleicht zum Lachen, einen Hund mit Jagdtrieb eher nicht. Ja, das wäre schön - so in der Natur... Jedoch, und da liegt schon wieder der Hase im Pfeffer begraben, ich würde beginnen die anderen zu mögen, und das Unvermeidbare passiert: meine Mutation zum BambiBambi. Weil ich die Mitrehe in mein Herz geschlossen habe, möchte ich, dass mich die anderen mögen und stecke die Innere Wildkatze in das tiefste Kellerloch meiner Seele. Verflixte Sache, einmal Bambi, immer Bambi... Ich lese gerade das Buch „ Das Café am Rande der Welt - Eine Erzählung über den Sinn des Lebens“ von John Strelecky.
Ein gestresster Werbemanager landet in einem merkwürdigen Café, nachdem er sich verfahren hat. Auf der Speisekarte dort findet er drei Fragen: Warum bist du hier? Hast du Angst vor dem Tod? Führst du ein erfülltes Leben? Im Laufe der Geschichte entspinnen sich interessante Gespräche. Unter anderem geht es darum, was geschieht, wenn jemand auf die erste Frage (Warum bist du hier?) eine Antwort gefunden hat. „[...] Sobald jemand die Antwort kennt, entsteht eine ebenso starke Kraft. Sobald ein Mensch weiß, warum er hier ist, warum er existiert, [...] wird er den Wunsch haben, dem Sinn und Zweck seiner Existenz gerecht zu werden. Es ist so, als erkenne man auf einer Karte, wo der Schatz versteckt ist. Sobald man die Markierung entdeckt hat, fällt es schwer, sie zu ignorieren und nicht nach dem Schatz zu suchen. In unserem Fall bedeutet das Folgendes: Sobald jemand weiß, warum er hier ist, wird es härter und emotional schwieriger für ihn sein, diese persönliche Bestimmung nicht zu verwirklichen.“ Tja, da ist mal wieder das Thema „Bestimmung“ um die Ecke gekommen. Es ist faszinierend und wichtig, sich darüber Gedanken zu machen, auf Winke des Schicksals zu achten und Zeichen wahrzunehmen. Aber nach meiner Meinung ist es gleichwohl ratsam, dabei auch einfach weiter zu leben. Wir sind nicht umsonst dort, wo wir uns gerade befinden. Und unser persönlicher Lebensweg ist mit den Lebenswegen anderer Menschen verbunden. Wir sind Schöpfer unserer Welt, doch leben wir in einem Universum der Co-Kreationen. Und einem der Gemeinschaften. Verlieren wir auf der Suche nach unserer Selbstverwirklichung nicht unsere Mitmenschen, Partner, Familien aus dem Blick. Ich persönlich habe auf die erste Frage mehrere unausgereifte Antworten. (So wird es vielen Menschen gehen. Was vollkommen normal ist, weil man das Leben als einen Prozess betrachten kann.) Auf die zweite Frage: Nein. Auf die dritte Frage: Ja, andererseits - da ist noch Raum. Aber wie gesagt, leben nicht vergessen... Und dennoch: Das oben genannte Buch kann ich bestens empfehlen. Vor einigen Tagen teilte mir eine liebe Bekannte mit, dass sie ihre Praxis schließt. Soviel ich weiß, arbeitete sie als Heilpraktikerin, oft auf homöopathischer Basis und ebenso mit der Stimme.
Nun hat sie den Mietvertrag für ihre Praxisräume gekündigt und ist gespannt auf das, was kommt. Was habe ich sie manchmal um ihre Praxis beneidet... Für mich war die Tatsache, eine eigene Praxis zu führen, bisher immer ein Indiz für Erfolg. Und jetzt lässt sie das Ganze los. Über konkrete Ursachen ihrer Entscheidung hat sie nicht gesprochen. An der Stelle meiner Bekannten würde ich mich möglicherweise als Versagerin fühlen, weil ein alter Glaubenssatz von mir lautet: „Abgeben oder Beenden ist gleich Aufgeben.“ Die Heilpraktikerin klang jedoch ganz optimistisch, überhaupt nicht wehmütig oder so. Eher luftig, leicht, befreit und voller Gewissheit, dass ihre Entscheidung richtig ist. So etwas nennt man Urvertrauen. Und wieder beneide ich sie. Um positiven Sinne, wie vorher. Ganz behutsam nehme ich mir ein Beispiel an ihr. Eine Scheibe abschneiden erscheint mir zu übergriffig. Ich wünsche ihr viel Glück und Segen und uns allen stets genug Urvertrauen. Das einzig Beständige im Leben ist der Wandel. Abgeben oder Beenden gehört zum Leben dazu wie Neubeginn und Aufbruch. |
Inés Witt
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