Eine gute Bekannte, wie man so sagt, wenn man ab und zu ein paar nette Worte wechselt, durchlebt momentan eine schwere Krise.
Wie es dazu gekommen ist, das ist unerheblich. Erheblich dagegen wiegt der Schaden, den die besagte Person dabei nimmt. Inzwischen ist sie ein Schatten ihrer selbst. Neulich fragte ich sie nach ihren inneren Ressourcen. Was das denn sei, wollte meine Bekannte wissen. Ich kann es nicht exakt definieren. Nur so etwa: Es geht darum, in sich selbst etwas zu finden, auf das man zurückgreifen, an dem man sich festhalten kann, wenn das Leben einen durchschüttelt und die Seele zerzaust. Ein Großteil meiner inneren Ressourcen besteht aus abgespeicherten Glücksmomenten. Aus Augenblicken, in denen es in mir "Klick" gemacht hat und ich ein Foto oder einen Kurzfilm in meinem Gedächtnis abgelegt habe. Von einer Szene besitze ich eine enorme Sammlung: Immer, wenn ich spätabends von der Bandprobe heimkam, machte mein Mann das Garagentor auf und unsere Hündin Amy stand schwanzwedelnd vor der Haustür. Sobald ich das Auto geparkt hatte, kam sie zu mir gelaufen. Wenn ich dann die Wagentür öffnete, war da ganz viel Hund und ganz viel Glück. Leider gibt es unsere Hündin nicht mehr. Und inzwischen geht mein Mann eher schlafen. Aber - es war soooo schön! Es waren Glücksmomente, perfekte Momente. Ein anderes Highlight ist bzw. war der Garten einer spirituellen Lehrerin. Bei ihr besuchte ich mehrere Seminare. Der Garten verkörperte für mich ein Märchenland. Ein Paradies für Naturwesen jeder Art. Ein Bächlein gurgelte vor sich hin umsäumt von sibirischen Birken. Unfassbar herrlich. Alles. Jetzt gehört dieses bezaubernde Fleckchen Erde fremden Menschen. Und ich werde es nur noch in meiner Phantasie betreten können. Aber immerhin. Irgendwie ist der wunderschöne Garten für mich immer noch da und verströmt seinen Zauber in die Welt. Zu guter Letzt: Ein Sommerabend auf der Terrasse eines guten Freundes. Es wird gelacht. Wir blicken über die Dächer der naheliegenden Häuser. Die Terrassentür ist leicht geöffnet. Im Wohnzimmer sitzt der Gastgeber am Flügel und spielt Jazz. "Klick!" Die Amseln singen. Es weht ein laues Lüftchen. Haach... Ich könnte endlos weitere Glücksperlen in meiner Erzählung auffädeln. So viel und so unfassbares Glück hatte ich in meinem Leben schon. Und du? Wie sieht dein Glücksarchiv aus? Jedenfalls werde ich meine Bekannte beim nächsten Treffen nach genau solchen Momenten fragen. Manchmal können schöne Erinnerungen unseren Fokus verändern. Sie können den Himmel über uns etwas aufhellen. In einem türkischen Dorf, aber es hätte fast überall auf der Erde passieren können,
ist einem Mann folgendes widerfahren: Er verabschiedete sich von seiner Frau und ging in die örtliche Kneipe. Dort feierte er mit Bekannten und trank und trank und trank. Im Laufe des Abends, der Nacht verloren ihn seine Leute aus den Augen. Sie fragten sich, wo er wohl geblieben sei. Auch seine Frau zu Hause begann sich Sorgen zu machen. So startete das Dorf mitten in der Nacht eine große Suchaktion. Mit Taschenlampen liefen sie kreuz und quer durch die Landschaft. Unser Protagonist erschien irgendwann, nach vielen Stunden, wieder auf der Bildfläche. Er war immer noch völlig durcheinander. Was machten die Menschen? Sie schienen ziemlich aufgeregt zu sein. Es war etwas Wichtiges, vermutlich... Ach, sie suchen jemanden. Jemand wird vermisst. Also half er mit. Das ging eine ganze Weile so. Aber, Moment mal, wen riefen denn die Menschen? Nun, das war ja er?? Na, so etwas aber auch! Kurios. Dieses Vorkommnis schaffte es in die Nachrichten. Da hat jemand im wahrsten Sinne des Wortes sich selbst gesucht. Und es anfangs gar nicht gemerkt, wen er da wirklich sucht. "Ich suche nicht - ich finde", sagte schon Pablo Picasso. Wenn ich mich im Suchen verliere, bleibt das Haus kalt und leer. Unbewohnt und verlassen. Dann war jegliche Reise scheinbar sinnlos. Und doch fange ich wieder von vorne an. Immer wieder. Oder ich halte mich an Picassos Worte. Und denke an die Geschichte von dem Mann aus dem türkischen Dorf. Aber unbewohnte, verlassene Häuser ziehen mich magisch an. Ich weiß auch nicht... Schwierige Sache mit dem Suchen. Nicht wahr? |
Inés Witt
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