Jammern ist nicht gut. Aber Jammern kann helfen.
Wenn man es nicht übertreibt und auch einmal aus tiefstem Herzen über sich selbst lachen kann. Wie das funktioniert? Ein wenig Verrücktheit braucht es schon... Es gibt ein altes Kinderspiel: "Armer schwarzer Kater!" oder besser: "Aarrrmerrr schwaarrzerr Kaaateerr!!!!" Eine Person ist der Kater, der soooo traurig bzw. soooo arm dran ist. Der Kater darf mauzen, miauen, heulen, sich beklagen über Alles und das voller Hingabe. Der Kater jammert und er hat guten Grund dazu, schließlich scheint sich die gesamte Welt gegen ihn verschworen zu haben. Die zweite Person ist zum Trösten da und streichelt den Kater mit den Worten: "Armer schwarzer Kater!" und das klingt natürlich wie oben beschrieben: "Aarrrmerrr schwaarrzerr Kaaateerr!!!!" Es darf hemmungslos übertrieben werden und je mehr sich die Protagonisten in die Szenerie hineinsteigern, umso mehr wird am Ende gelacht werden. Die Absurdität, das Kindliche, das Spiel bringen uns zu einem Ort, wo unsere innere Sonne aufgeht und wir unser Jammertal mit Freudentränen verlassen. Und natürlich werden bei Bedarf nach der ersten Runde die Rollen getauscht. Sehr zu empfehlen! Ich liebe Katzen. Man kann sich mit ihnen wunderbar unterhalten. Besonders bei Regen sind sie dankbar, wenn sie ein offenes Ohr finden, dem sie mitteilen können, wie schrecklich das Wetter gerade ist. Manchmal sind sie über etwas anderes im Unreinen, je nachdem... Nachts gibt es geheime Kämpfe und das artet mitunter in Katzenjammer aus. Als Kater hat man es nicht immer einfach. Ich habe schon Exemplare gesehen, die mit allen Wassern gewaschen waren und wie lädierte Seeräuber daherkamen. Aber auch wahre Majestäten sind unter den Katzen und Katern zu finden. Viele sind nebenbei noch großartige Zenmeister. Wenn du dich mit einer Tierart beschäftigst, lernst du auf jeden Fall ein faszinierendes neues Universum kennen. Tiere sind in meinen Augen sowieso Wunderwesen und Heiler. Gerade weil ich so ein großer Katzenfan bin, mag ich dieses Spiel. Das Dumme daran ist nur, dass ich kein Kind mehr bin und es wenige Erwachsene gibt, die erkannt haben, wie genial dieser "Arme schwarze Kater" ist. Wenn ich dieses Jahr allerdings wirklich schlimm in den April geschickt werden sollte, suche ich mir jemanden, denn dann möchte ich getröstet werden!!! Wieso soll Geld „lieb“ sein? Ich drücke mich so aus, weil oft das Gegenteil wahrgenommen wird: Das Geld sei „schlecht“ oder „böse“.
Dabei ist Geld einfach. Es ist. Für mich stellt es eine Ressource da, mit der man tolle Dinge anstellen kann, wie zum Beispiel Reisen unternehmen, in’s Sportstudio oder in in’s Theater gehen oder etwas spenden für einen guten und sinnvollen Zweck. Manche Menschen denken, sie haben es nicht verdient, im Wohlstand zu leben. Bewusst oder unbewusst. Und was jemand unter Wohlstand versteht, variiert natürlich auch noch – ein weites Feld... Dazu fällt mir folgende Begebenheit ein: Im Haus meiner Großmutter in Kühlungsborn wohnte eine sehr freundliche ältere Dame mit ihrem Hund. Sie hatte gerade genug zum Leben, konnte sich allerdings keinen Luxus leisten. Ihre Wohnung war klein, sie trug einfache Kleidung. Ich glaube, sie vereiste nie. Auch an Besuch kann ich mich nicht erinnern. Jede Woche ging diese Frau zum Zeitungskiosk um die Ecke und kaufte sich einen Lottoschein. Sie nahm immer die gleichen Zahlen. Immer. Davor kann ich nur warnen. Denn: Eines Tages wurde sie von einer schweren Grippe heimgesucht und war dadurch nicht in der Lage, sich ihren Lottoschein zu holen und ihre Kreuze zu machen. Unglücklicherweise hat sie auch niemanden gebeten, das für sie zu erledigen. Ihre Zahlen waren alle richtig, Volltreffer – in der Woche, in der sie wider Willen ausgesetzt hatte. Allein die Tatsache, dass diese Nachbarin Lotto gespielt hat, lässt darauf schließen, dass sie irgendwelche Träume hatte, Wünsche, die sie sich erfüllen wollte mit Hilfe eines Lottogewinns... Ich empfand das Ganze als sehr tragisch und die Dame sicher um Vieles mehr. Es sollte einfach nicht sein. Es sollte einfach nicht sein. Oder ein inneres Selbstsabotageprogramm hatte sie krank werden lassen, damit der Reichtum verhindert wird. Irgendwann hat die Frau das Desaster verkraftet und das Beste aus der Situation gemacht. Sie ist mit ihrem Hund im Wald spazieren gegangen. Manchmal, an guten Tagen, hat sie es trotz ihres hohen Alters bis an die Ostsee geschafft und sich den Wind um die Nase wehen lassen. Ein Vergnügen, das Gott sei Dank umsonst ist. Marianne war auf dem Nachhauseweg. Sie kam vom dreizehnten Geburtstag ihrer besten Freundin Sabine. Es war ein lustiger Nachmittag gewesen. Ihre Freundin hatte das Glück, dass ihr Geburtstag fast immer in die Sommerferien fiel, wie auch in diesem Jahr. Marianne und Sabine waren sehr verschiedene Mädchen. Sabine sah mindestens zwei Jahre älter aus und folgte jedem Modetrend. Sie liebte Shoppen über alles und machte sich gern zurecht. Im Grunde sah sie aus wie diese perfekt gestylten Youtuberinnen, die sich momentan im Netz tummeln. Marianne hingegen wirkte noch sehr kindlich. Sie trug Short Fringe Bangs, der Rest ihrer Haare war kinnlang und als i—Tüpfelchen hatte sie zwei Zöpfe lang gelassen bei ihrem letzten Friseurbesuch. Es war ursprünglich das Ergebnis einer Wette. Sie hatte gedacht, dass sie diese Frisur nur vorübergehend so lassen würde, aber inzwischen fand sie es einfach megacool. Kleidungstechnisch war ihr eigentlich alles egal, Hauptsache bequem. Anstatt sich wie Sabine zu schminken, malte sie sich Pünktchen unter ihre Augen. Sie wirkte wie eine Elfe, obwohl sie praktische Outdoorsachen bevorzugte. Es war ein lauer Sommerabend, die Sonne tauchte alles in ein unfassbar schönes warmes Licht. Marianne träumte vor sich hin. Sie hatte einen angenehmen Weg vor sich, denn sie wohnte in der sogenannten Gartenstadt. Nun sah sie am Straßenrand plötzlich ein braunes Osterei. „Das müsste doch eigentlich bei der Wärme heute längst geschmolzen sein“, befand Marianne und beugte sich zu dem merkwürdigen kleinen Ding hinunter. Das hatte Fell und zwei schwarze Knopfäuglein, war in Wirklichkeit ein Hamster und sein Blick sagte: „Rette mich!“ „Manchmal beißen Hamster“, überlegte sie, aber dann hob sie ihn hoch und meinte: „Klar doch, ich muss dich nur an meinen Eltern vorbei schmuggeln. Ich darf nämlich keine Haustiere haben.“ „Das wird schon“, antwortete der Hamster. Also, gesagt getan, sie ging nach Hause, huschte erst in ihr Zimmer, setzte das Tierchen auf ihr Bett und begrüßte dann ihre Eltern, die auf der Terrasse den Tag mit einem Glas Wein ausklingen ließen. Marianne hatte keinen Hunger, ging trotzdem in die Küche und holte ein paar Nüsse und ein Schälchen mit Wasser. Am nächsten Tag arbeiteten ihre Eltern. So hatte Marianne den ganzen Tag Zeit, eine Behausung für den Hamster zu basteln. Das Ergebnis war eine unförmige Holzkiste mit vielen „Fenstern“, mit Sägespänen ausgelegt. Futter und Streu hatte sie eingekauft, dafür war sie extra mit dem Rad in die Stadt gefahren. Am selben Abend schon kam ihr Geheimnis ans Licht. Ihr Vater hatte das Ungetüm von Käfig in Mariannes Zimmer entdeckt und fürchterlich zu schimpfen angefangen. Marianne schaute betreten zu dem Hamster. Seine Äuglein schrien: „Rette mich!“ So versprach sie ihrem Vater alles für die Schule zu machen, sie wollte in jedem Fach eine Note besser werden. Letztendlich ging es noch einmal in die Stadt, um eine richtige, geräumige Hamsterbehausung zu erwerben. Die Mutter hielt sich aus dieser Angelegenheit raus. Was in den folgenden Jahren geschah, kann man in das Reich der Legenden verbannen, man kann es aber auch gern glauben. Kurzum, der Hamster war hellsichtig. Wenn Marianne ihm erzählte, welche Fächer am kommenden Tag auf dem Stundenplan standen, blickte der Hamster sehr ernst und blinzelte bei den Themen, auf die sich Marianne besonders gut vorbereiten musste. Jede Klassenarbeit, Kurzkontrolle, wenn sie an der Tafel etwas erklären sollte, Marianne brillierte und holte eine Eins nach der anderen. Die Eltern waren schwer beeindruckt. Normalerweise leben Hamster nicht besonders lange, sie erreichen ein Alter von zwei, bestenfalls drei Jahren. Aber dieser Hamster bedachte Marianne mehrmals mit dem Blick „Rette mich!“ und dann fuhr sie mit dem hilfreichen Tierchen schnellstens zum Tierarzt. Der Hamster blieb sechs Jahre bei ihr, er durfte im Garten rumlaufen und bei Marianne im Bett schlafen. Er war so klug, dass er sich komplett an Mariannes Tagesablauf anpasste. Marianne schloß ihr Abitur mit 1,0 ab. Ihr Erfolgsgeheimnis verriet sie erst einige Jahre später, als sie schon Studentin war. Danach, die Leute tragen ja alles weiter, müsst ihr mir glauben, waren eine Zeit lang die Hamster in unserer Stadt ausverkauft. Es gab regelrecht einen Schwarzmarkt, um Hamster für viel Geld an den Mann oder die Frau zu bringen. Aber das legte sich ziemlich schnell, weil von dem Hamster leider keine Verwandten mehr lebten. Seine ganze Familie war nämlich hellsichtig gewesen, nur hatte es niemand gemerkt. Übrigens, ihrer seltsamen Frisur ist Marianne treu geblieben. Sie hat Veterinärmedizin studiert und in Berlin eine Praxis für Kleintiere, spezialisiert auf Nager, eröffnet. Die Praxis läuft gut, da es in Berlin bekanntlich viele Punks gibt, die Ratten halten und sich sehr um ihre Lieblinge kümmern. Nun mag sich mancher fragen, wie hat Marianne ohne den Hamster ihr Studium bewerkstelligen können. Das ist mir, ehrlich gesagt, auch ein Rätsel. Vielleicht hat sie in den Hamsterjahren eine effiziente Lerntechnik entwickelt. Esoteriker halten sicherlich auch eine Verbindung der beiden nach dem Ableben des Hamsters für möglich. Es gibt ja Vieles zwischen Himmel und Erde, das sich unserer Vorstellungskraft entzieht. Wer weiß? Die Annäherung zwischen Robert und Rosi hatte völlig unspektakulär stattgefunden. Ganz ohne Berechnung.
Rosi war einfach dagewesen, als Robert sich schlecht gefühlt hatte. Sie war keinen Schritt auf ihn zugegangen. Sie hatte nichts gewollt. Sie hatte so sehr und so lange nichts gewollt, bis Robert angefangen hatte davon zu träumen, wie entspannt es doch mit Rosi sein würde. Das Zusammenleben. Das Füreinanderdasein. Und überhaupt: auch im Bett würde es ausnehmend entspannt zugehen. Robert hatte ausprobiert, wie es mit Rosi im Bett war. Es war wie Ankommen gewesen, endlich Ankommen. Wie Baden in warmem Wasser. Nun gab es kein Zurück. Langsam begriff er, dass er mit der falschen Frau verheiratet war. Robert musste immer wieder an den Anfang seiner Beziehung zu Marlene denken. „Sie hat dich gepflückt wie eine reife Pflaume“, ging ihm durch den Kopf. „Und du, Robert, hast dich pflücken lassen.“ Weihnachten dieses Jahr war schlimm für Robert. Marlene fegte durch die Wohnung wie ein Wirbelsturm. Deko hier und Deko da. Einkaufen, kochen, backen. Ach ja und die Katzen. Der spezielle Musikgeschmack der Katzen lehnte Weihnachtslieder ab. Weihnachtsmusik hatte allem Anschein nach Schwingungen, die den Katzen missfielen. Als es am zweiten Weihnachtstag anfing zu schneien, brach es aus Robert heraus: „Ich liebe dich nicht mehr, Marlene. Ich habe mich in Rosi verliebt. Es ist ganz anders mit ihr. Besser. Viel besser. Ich lasse mich von dir scheiden. Sei mit bitte nicht böse! Du hast ja auch einen Freund, mit dem du dich bestens verstehst!“ Marlene riss es den Boden unter den Füßen weg. Den Boden, die Sicherheit, die Gegenwart, die Zukunft, die Geborgenheit und – fatalerweise auch den Glauben an sich selbst. Es wurde dunkel um Marlene. Ihr Herz tat weh, mit dem linken Arm stimmte auch etwas nicht. Am Neujahrstag erlitt Marlene im Alter von neunundzwanzig Jahren einen Herzinfarkt. Da war Robert schon bei Rosi. Marlene lag etwa drei Wochen auf der kardiologischen Wacheinheit. Knapp am Tod vorbeigeschrammt. Ihr Zustand besserte sich langsamer als von den Ärzten angenommen worden war. Danach fuhr Marlene zur Reha. Wie ein Fels in der Brandung stand Alexander Marlene zur Seite. Dass er die Katzen zu sich nahm – eine Selbstverständlichkeit. Alexander hielt Marlene auf dem Laufenden, was Ares, Melpomene, Mauz und Mauzi anging. Und was das Leben anging. Alexander regelte die gesamte Korrespondenz für Marlene. Im Grunde ließ er sich von Robert scheiden. Im Grunde lösten Alexander und Robert den Haushalt auf . Die beiden Männer regelten alles Finanzielle. Es gab keine Animositäten zwischen ihnen. Warum auch. Alexander fand die Souterrain-Wohnung. Und Alexander durchforstete die Stellenanzeigen. Für Marlene. Als Marlene durchsichtig und um zehn Jahre gealtert die Reha abschloss, brauchte sie nur den Weg zu gehen, den Alexander ihr geebnet hatte. Sie nahm alles dankbar an, aber sie konnte nichts zurückgeben. Die Katzen blieben bei Alexander. Marlene hatte Angst, die Katzen würden sie auffressen. Sie fühlte sich wie eine kleine graue Maus. Es war ihr unmöglich mit vier Katzen in einer Keller-Wohnung zu leben. Ihre Haare ließ sich Marlene von Alexander auf Kinnlänge kürzen und in ihre geschätzte Haarfarbe umfärben: grau mit schwarzen Strähnen. Schminksachen und Parfüm landeten von Schimpftriaden begleitet im hohen Bogen im Müll. Der Vertrag mit dem Sportstudio wurde gekündigt. Marlene schaltete auf Autopilot, sie lebte mechanisch weiter. Sie fing an bei Frau Dr. Pfennig zu arbeiten. Es fiel ihr schwer, sich an die Arbeit zu gewöhnen. Manchmal dachte sie, sie müsse sterben. Aber mit der Zeit bekam sie Durchblick. Die Patienten schätzten Marlene. Auch Frau Dr. Pfennig war froh, dass Marlene bei ihr in der Chirurgischen Arztpraxis arbeitete. Marlene machte ihre Arbeit. Sie tratschte nicht. Was Marlene sagte, meinte sie auch so. Wenn sie etwas nicht wusste, fragte sie. Marlene war sozusagen schnörkellos. Nur die zwei Krankenschwestern, die auch bei Frau Dr. Pfennig angestellt waren, hatten etwas gegen Marlene. Besonders, wenn der schöne Alexander Marlene von der Arbeit abholte. Dann waren die beiden richtig sauer. Alexander konnte anziehen, was er wollte, er sah aus wie ein Model. Er erinnerte ein wenig an David Bowie, hatte aber schwarze Haare und fast schwarze Augen. Er war ziemlich groß, doch wirkte er nie schlaksig. Mit ihm hatten es seine Gene offenbar sehr gut gemeint. Nur Alexanders stundenlangen guten Zureden war es zu verdanken, dass Marlene wieder mit zum Tanzen kam. Die anderen Leute vom Tanztraining konnten nicht verstehen, warum sich ein so schöner junger Mann mit einer Frau wie Marlene abgab. Aber das mussten sie auch nicht. Obwohl Marlenes Selbstwertgefühl am Boden war, an Alexanders Freundschaft zweifelte sie nie. Wäre sie in die USA oder nach Australien ausgewandert, hätte sie Alexander mitgenommen. Und Alexander wäre mitgekommen. Das wusste sie und das wusste auch Alexander. Als die Scheidung schon eine Weile zurück lag, fragte einer der Kursleiter vom Tanzstudio, ob Alexander und Marlene an Turnieren teilnehmen wollen. Er würde ihnen Extra-Stunden gratis geben. Die beiden hätten das gewisse Etwas. Es wäre eine Schande nichts daraus zu machen. Marlene und Alexander sagten Ja. Wenige Wochen später entdeckten die Schwestern von Frau Dr. Pfennig Plakate mit Marlene und Alexander in der Innenstadt und waren nun regelrecht erbost. Man konnte auch sagen, sie waren zerfressen vor Neid. Dies alles geschah zu der Zeit, als Marlene anfing mit den Instrumenten, die sie in den Steri legte und später wieder herausnahm, zu sprechen. Sie erklärte den Scheren und Pinzetten: „Ich habe Robert gepflückt wie eine reife Pflaume.“ „Und er hat sich pflücken lassen“, war die Antwort. „Für irgendetwas muss es ja gut gewesen sein“, brummte Marlene. „Genau, warte es nur ab!“ „ - - - - -? “ „Mit wem reden Sie, Marlene?!“ Zum Glück ging die eine Tür richtig auf, während die andere anfing in das Schloss zu fallen. Es wurde eine Überraschungs-Aktion in Alexanders Salon gestartet. Ergebnis: feuerrot und Dauerumarmung für den Coiffeur. Marlene und Alexander konnten es kaum glauben: Seitdem es aufwärts ging, ging es steil aufwärts. Sie hatten Erfolg. Sie hatten Spaß. Dafür trainierten sie fast jeden Tag. Dass Marlene oft müde von der Arbeit über die Straße in ihre Wohnung schlich, hielt sie nie davon ab zum Tanztraining zu gehen. Es war eher so: Durch das Tanzen hielt sie den Stress auf Arbeit und die Launen der Schwestern überhaupt aus. Wenn sie an Alexander dachte, wurden ihre Gesichtszüge weich. Manchmal kam es ihr so vor, als wären sie Kinder, die spielen Erfolg zu haben. Alexander äußerte die Idee, das Tanzen zum Beruf zu machen. Marlene war einverstanden. Sie zogen zusammen in eine schöne Altbauwohnung in der Nähe vom Stadtpark. Endlich hatte Marlene ihre Katzen wieder bei sich. Endlich hatte sie keine Angst mehr. Sie kündigte die Stelle bei Frau Dr. Pfennig. Alexander arbeitete nur noch stundenweise. Er und Marlene kamen kaum noch zum Luftholen. Aber es machte Spaß, atemlos und glücklich durch das Leben zu rennen. Es machte riesigen Spaß! Sie waren DAS Flamenco-Paar! Marlene ließ die Fotografen stehen. Sie brauchte sich niemandem erklären. Sie konnte es sich leisten. An einem Morgen im April wurde Marlene sehr früh wach. Da war so ein Ziehen in den Beinen. Oder war es ein Spannungsgefühl? Marlene fasste sich an die Stirn. Sie war völlig verschwitzt. Sie schnappte nach Luft wie ein Fisch, der aus dem Wasser gezogen und auf die nackten Planken eines Fischkutters geworfen worden war. Die Tür von Marlenes Zimmer war nicht geschlossen. Einen Spalt breit stand sie offen. Marlene konnte Alexander in der Küche mit Geschirr klappern hören. Er sang bei der Arbeit: „Fällt aus dem Nest ein Vogel, ist das nicht schlimm. Sagen die Großen. Vögel gibt´s viele. ...“ Ein Lied von seinem Lieblingssänger. Es duftete nach Kaffee und frisch gebackenen Brötchen. Ares, Melpomene, Mauz und Mauzi miauten im Flur. So früh am Tage war es wohl doch nicht. Marlene drehte sich langsam im Bett auf die andere Seite. Noch fünf Minuten kuscheln, dann wollte sie aufstehen. Ohne, dass sie es merkte, fielen ihr sanft die Augen zu. Es duftete nach Kaffee und frisch gebackenen Brötchen. Als sie sich zwei Stunden später mit Alexander das Frühstück schmecken ließ, hatte sie alles vergessen: Das Ziehen in den Beinen. Das Spannungsgefühl. Die Luftknappheit und den Schweiß. Sie wusste nichts mehr von all dem. Sie lachte über die Witze, die Alexander machte. Wunderbar. Die Flitterwochen verbrachten sie in Venedig. Marlene hielt sich die meiste Zeit auf dem Markusplatz auf und zeichnete Tauben. Die Sehenswürdigkeiten, die Paläste und Galerien musste sich Robert alleine ansehen. Er konnte es nicht fassen, was sie an den Tauben fand. „Total vernarrt in diese Viecher! Und ich, ich hätte es mir ja denken müssen! Wer Enten und Katzen malt, zeichnet auch Tauben“, regte sich Robert auf, „Welche Verschwendung! Wieso, zum Teufel hat sie keinen Blick für die wunderschönen Häuser und Kanäle!“
Die Frau war im wahrsten Sinne des Wortes vogelig. Dennoch: Die Zeichnungen waren gut. Einige verkaufte Marlene an begeisterte Touristen. Wegen dieser Unstimmigkeit waren Marlene und Robert nicht traurig, als es Zeit wurde nach Hause zu fliegen. „Endlich Normalität...“ O-Ton Robert. Da das Gehalt von Robert alle Erwartungen übertraf, kamen sie überein, dass Marlene zu Hause blieb. Sie kümmerte sich hingebungsvoll um den Garten. Und um den Nachwuchs. Der stellte sich allerdings nicht ein. Die Befürchtungen von Marlenes Mutter waren umsonst gewesen. Mehrere Besuche beim Frauenarzt brachten die ernüchternde Erkenntnis, Marlene konnte keine Kinder bekommen. Also würde ihr gesunder Schlaf keinem unschuldigen Kind schaden. Marlene war am Boden zerstört. Kinder waren ein wichtiger Teil ihrer Planung gewesen. Zum Heiraten gehörten Kinder wie das Ahmen zur Kirche. Robert konnte ihre Verzweifelung nicht lange mit ansehen. Er schenkte ihr zum fünfundzwanzigsten Geburtstag ein Siamkatzenpärchen. Das war der Anfang ihres neuen selbst gewählten Lebensinhaltes: Katzen züchten, Katzen verstehen, Katzen streicheln, Katzen zeichnen, mit den Nachbarinnen über Katzen reden, sich im Fernsehen Sendungen über Katzen ansehen, etc. Sie kaufte viele Bücher über Katzen. Ein Zimmer wurde komplett neu eingerichtet für die Katzen. Als sie mitbekam, dass die Katzen am liebsten klassische Musik hörten, verbannte sie jedwede andere Musik aus der Wohnung. Wenn Robert seine geliebten Stones auflegte, fuhr ihm eine entsetzte Marlene dazwischen. „Bis du verrückt? Die armen Katzen! Hör dir deinen Scheiß doch im Auto an, wenn du zur Arbeit fährst!“ Als Marlene merkte, dass der Bauch der jungen Katzedame immer dicker wurde, gab sie den Katzen erst einmal richtige Namen: Ares und Melpomene. „Das hat System“, argwöhnte Robert. Seine Frau hatte für die Katzen Namen aus der Griechischen Mythologie ausgesucht: Ares, der Gott des Krieges und Melpomene, eine der neun Musen, die Muse der tragischen Dichtung und des Trauergesangs. Das war kein gutes Ohmen. Robert nahm sich vor, noch mehr Überstunden zu machen und zu sehen, was sich außerdem so ergeben würde. An dem Tag, als die Katzenkinder zur Welt kamen, war Robert auf Dienstreise. Es war eine schwere Geburt und eins der Kleinen überlebte die Strapazen nicht. Die Übrigen allerdings schienen gesund und kräftig zu sein: zwei kleine entzückende Würmchen. „Ein Glück, dass es nicht zu viele sind“, dachte Marlene, „dann ist es nicht so anstrengend.“ Sie taufte die beiden auf Mauz und Mauzi. Robert begann am Verstand von Marlene zu zweifeln. Ares wurde kastriert und etwas später auch Mauz. Vier Katzen waren genug. Darin waren sich Robert und Marlene einig. Dass es ausgerechnet die Kater waren, die dran glauben mussten, registrierte Robert mit bitterer Miene. Auch wenn Marlene ihren Mann des Öfteren anherrschte, versuchte sie dennoch ihm eine gute Ehefrau zu sein. Die Wohnung war blitzsauber, der Garten in Ordnung. Sie kochte gern und hielt Robert den Rücken frei. Die Vorliebe für das Kochen war nicht ganz uneigennützig. Aß sie doch selbst sehr gern. Sie legte nicht total extrem zu, aber mit den Jahren kam das eine oder andere Kilo auf ihre Hüften. Robert schenkte ihr ein Jahresabo in einem exklusiven Fitnessstudio. Man hatte von dort einen schönen Blick auf die Altstadt und es war nicht überlaufen. Marlene blühte auf. Sie fing an akribisch auf ihre Ernährung zu achten. Ihre inzwischen vollkommen ergrauten Haare färbte sie sich schwarz. Keine graue Strähne mehr. Irgendwie fühlte sie, dass sie noch über enormes Potential verfügte. Sie war jung. Die Hausarbeit erledigte sie mit immer mehr Schwung. Musik! Im Herbst lief auf dem lokalen Radiosender Flamenco. Sie wollte schon den Sender wechseln, als sie bemerkte, dass sie beobachtet wurde. Im Türrahmen vom Flur zur Küche saß die gesamte Katzenfamilie und sah sie mit großen Augen an. Marlene war gerade auf Wolke Sieben und fing aus einer Laune heraus an zu steppen. Die Katzen hielten die Köpfe schief und legten sich hin. Ganz aufmerksam. Sehr interessant, was ihr Frauchen da auf einmal aufführte. Und die Musik so schön! Robert wurde an diesem Abend von einer begeisterten und stürmischen Marlene empfangen. „Tut ihr wohl gut, der Sport“, freute sich Robert. Sie meldete sich ein paar Monate danach zu einem Flamenco-Kurs an. Dort lernte sie Alexander kennen. Von Anfang an stand eine gewisse Schwerelosigkeit zwischen Alexander und Marlene. Es war, als wären sie wieder Kinder. Alexander und Marlene waren sich sehr nah, so als würden sie sich ewig kennen. Und doch war da immer eine Grenze, die sie nie überschreiten wollten. Darüber redeten sie nie. Beide wussten, was sie aneinander hatten und was sie niemals füreinander sein konnten. Beide hatten ins Schwarze getroffen. Und es war beruhigend ungefährlich. Wie Bruder und Schwester sozusagen. Marlene traf Alexander nicht nur zu den Kursstunden. Sie verabredeten sich mehrmals in der Woche. Als sie mitbekommen hatte, dass er Friseur war, wechselte sie den Salon. Zu Hause hieß es, Alexander hier, Alexander dort. Ihr Mann drehte mit den Augen. Aber er hatte ein verdammt schlechtes Gewissen. Das hatte auch Marlene. Weil sie dauernd mit ihrem neuen Freund zusammen war. Alexander besuchte Marlene sehr gern zu Hause. Er mochte ihre Katzen. Er mochte den Garten. Die schöne Wohnung. Das gute Essen. Und er mochte Marlene. Aber einen triftigen Grund für ein schlechtes Gewissen hatte nur Robert. Er hatte sich mit Rosi eingelassen. Rosi war die neue Rechtsanwaltsgehilfin in der Kanzlei. Rosi war jung. Kugelrund. Konnte aber Kinder bekommen. Sagte sie jedenfalls. War Marlene eher von einer ätherischen Schönheit, die auf Robert damals bei ihrer ersten Begegnung leicht verstörend gewirkt hatte, so konnte man Rosi als das genaue Gegenteil bezeichnen. An Rosi war alles fraulich und nett und – warm irgendwie. Ihre Gesichtszüge waren weich, ihre Augen blickten freundlich. Das halblange braune Haar umrahmte lieblich ihr Gesicht. Selbst Rosis Figur war freundlich. Rund und lieb. Besonders Frauen mochten Rosi; sie hatte so etwas Mütterliches und absolut Loyales an sich. „Die spannt dir nie einen Mann aus“, dachten sie. Dachten sie. Nächste Woche geht es weiter mit .... Annäherung zwischen Robert und Rosi... |
Inés Witt
|