Die Flitterwochen verbrachten sie in Venedig. Marlene hielt sich die meiste Zeit auf dem Markusplatz auf und zeichnete Tauben. Die Sehenswürdigkeiten, die Paläste und Galerien musste sich Robert alleine ansehen. Er konnte es nicht fassen, was sie an den Tauben fand. „Total vernarrt in diese Viecher! Und ich, ich hätte es mir ja denken müssen! Wer Enten und Katzen malt, zeichnet auch Tauben“, regte sich Robert auf, „Welche Verschwendung! Wieso, zum Teufel hat sie keinen Blick für die wunderschönen Häuser und Kanäle!“
Die Frau war im wahrsten Sinne des Wortes vogelig. Dennoch: Die Zeichnungen waren gut. Einige verkaufte Marlene an begeisterte Touristen. Wegen dieser Unstimmigkeit waren Marlene und Robert nicht traurig, als es Zeit wurde nach Hause zu fliegen. „Endlich Normalität...“ O-Ton Robert. Da das Gehalt von Robert alle Erwartungen übertraf, kamen sie überein, dass Marlene zu Hause blieb. Sie kümmerte sich hingebungsvoll um den Garten. Und um den Nachwuchs. Der stellte sich allerdings nicht ein. Die Befürchtungen von Marlenes Mutter waren umsonst gewesen. Mehrere Besuche beim Frauenarzt brachten die ernüchternde Erkenntnis, Marlene konnte keine Kinder bekommen. Also würde ihr gesunder Schlaf keinem unschuldigen Kind schaden. Marlene war am Boden zerstört. Kinder waren ein wichtiger Teil ihrer Planung gewesen. Zum Heiraten gehörten Kinder wie das Ahmen zur Kirche. Robert konnte ihre Verzweifelung nicht lange mit ansehen. Er schenkte ihr zum fünfundzwanzigsten Geburtstag ein Siamkatzenpärchen. Das war der Anfang ihres neuen selbst gewählten Lebensinhaltes: Katzen züchten, Katzen verstehen, Katzen streicheln, Katzen zeichnen, mit den Nachbarinnen über Katzen reden, sich im Fernsehen Sendungen über Katzen ansehen, etc. Sie kaufte viele Bücher über Katzen. Ein Zimmer wurde komplett neu eingerichtet für die Katzen. Als sie mitbekam, dass die Katzen am liebsten klassische Musik hörten, verbannte sie jedwede andere Musik aus der Wohnung. Wenn Robert seine geliebten Stones auflegte, fuhr ihm eine entsetzte Marlene dazwischen. „Bis du verrückt? Die armen Katzen! Hör dir deinen Scheiß doch im Auto an, wenn du zur Arbeit fährst!“ Als Marlene merkte, dass der Bauch der jungen Katzedame immer dicker wurde, gab sie den Katzen erst einmal richtige Namen: Ares und Melpomene. „Das hat System“, argwöhnte Robert. Seine Frau hatte für die Katzen Namen aus der Griechischen Mythologie ausgesucht: Ares, der Gott des Krieges und Melpomene, eine der neun Musen, die Muse der tragischen Dichtung und des Trauergesangs. Das war kein gutes Ohmen. Robert nahm sich vor, noch mehr Überstunden zu machen und zu sehen, was sich außerdem so ergeben würde. An dem Tag, als die Katzenkinder zur Welt kamen, war Robert auf Dienstreise. Es war eine schwere Geburt und eins der Kleinen überlebte die Strapazen nicht. Die Übrigen allerdings schienen gesund und kräftig zu sein: zwei kleine entzückende Würmchen. „Ein Glück, dass es nicht zu viele sind“, dachte Marlene, „dann ist es nicht so anstrengend.“ Sie taufte die beiden auf Mauz und Mauzi. Robert begann am Verstand von Marlene zu zweifeln. Ares wurde kastriert und etwas später auch Mauz. Vier Katzen waren genug. Darin waren sich Robert und Marlene einig. Dass es ausgerechnet die Kater waren, die dran glauben mussten, registrierte Robert mit bitterer Miene. Auch wenn Marlene ihren Mann des Öfteren anherrschte, versuchte sie dennoch ihm eine gute Ehefrau zu sein. Die Wohnung war blitzsauber, der Garten in Ordnung. Sie kochte gern und hielt Robert den Rücken frei. Die Vorliebe für das Kochen war nicht ganz uneigennützig. Aß sie doch selbst sehr gern. Sie legte nicht total extrem zu, aber mit den Jahren kam das eine oder andere Kilo auf ihre Hüften. Robert schenkte ihr ein Jahresabo in einem exklusiven Fitnessstudio. Man hatte von dort einen schönen Blick auf die Altstadt und es war nicht überlaufen. Marlene blühte auf. Sie fing an akribisch auf ihre Ernährung zu achten. Ihre inzwischen vollkommen ergrauten Haare färbte sie sich schwarz. Keine graue Strähne mehr. Irgendwie fühlte sie, dass sie noch über enormes Potential verfügte. Sie war jung. Die Hausarbeit erledigte sie mit immer mehr Schwung. Musik! Im Herbst lief auf dem lokalen Radiosender Flamenco. Sie wollte schon den Sender wechseln, als sie bemerkte, dass sie beobachtet wurde. Im Türrahmen vom Flur zur Küche saß die gesamte Katzenfamilie und sah sie mit großen Augen an. Marlene war gerade auf Wolke Sieben und fing aus einer Laune heraus an zu steppen. Die Katzen hielten die Köpfe schief und legten sich hin. Ganz aufmerksam. Sehr interessant, was ihr Frauchen da auf einmal aufführte. Und die Musik so schön! Robert wurde an diesem Abend von einer begeisterten und stürmischen Marlene empfangen. „Tut ihr wohl gut, der Sport“, freute sich Robert. Sie meldete sich ein paar Monate danach zu einem Flamenco-Kurs an. Dort lernte sie Alexander kennen. Von Anfang an stand eine gewisse Schwerelosigkeit zwischen Alexander und Marlene. Es war, als wären sie wieder Kinder. Alexander und Marlene waren sich sehr nah, so als würden sie sich ewig kennen. Und doch war da immer eine Grenze, die sie nie überschreiten wollten. Darüber redeten sie nie. Beide wussten, was sie aneinander hatten und was sie niemals füreinander sein konnten. Beide hatten ins Schwarze getroffen. Und es war beruhigend ungefährlich. Wie Bruder und Schwester sozusagen. Marlene traf Alexander nicht nur zu den Kursstunden. Sie verabredeten sich mehrmals in der Woche. Als sie mitbekommen hatte, dass er Friseur war, wechselte sie den Salon. Zu Hause hieß es, Alexander hier, Alexander dort. Ihr Mann drehte mit den Augen. Aber er hatte ein verdammt schlechtes Gewissen. Das hatte auch Marlene. Weil sie dauernd mit ihrem neuen Freund zusammen war. Alexander besuchte Marlene sehr gern zu Hause. Er mochte ihre Katzen. Er mochte den Garten. Die schöne Wohnung. Das gute Essen. Und er mochte Marlene. Aber einen triftigen Grund für ein schlechtes Gewissen hatte nur Robert. Er hatte sich mit Rosi eingelassen. Rosi war die neue Rechtsanwaltsgehilfin in der Kanzlei. Rosi war jung. Kugelrund. Konnte aber Kinder bekommen. Sagte sie jedenfalls. War Marlene eher von einer ätherischen Schönheit, die auf Robert damals bei ihrer ersten Begegnung leicht verstörend gewirkt hatte, so konnte man Rosi als das genaue Gegenteil bezeichnen. An Rosi war alles fraulich und nett und – warm irgendwie. Ihre Gesichtszüge waren weich, ihre Augen blickten freundlich. Das halblange braune Haar umrahmte lieblich ihr Gesicht. Selbst Rosis Figur war freundlich. Rund und lieb. Besonders Frauen mochten Rosi; sie hatte so etwas Mütterliches und absolut Loyales an sich. „Die spannt dir nie einen Mann aus“, dachten sie. Dachten sie. Nächste Woche geht es weiter mit .... Annäherung zwischen Robert und Rosi... Comments are closed.
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Inés Witt
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