Am besten komme ich mit anderen Leuten in Kontakt, wenn ich mit Amy, unserer Hündin, beim Tierarzt warte. Man könnte denken, vor allem mit Hundemenschen, aber nein, es sind eher Kaninchen- und Katzenhalter. Das Gute dabei ist, deren Tier sitzt fein in der Box und stürmt nicht zu Amy. Es gibt kein Chaos. Amy akzeptiert, dass nichts Aufregendes passiert und man kann sich gut unterhalten.
Heute geht es allerdings um eine Ausnahme. Ich wartete beim Orthopäden und richtig, da sitzen viele ältere Patienten. So auch Clara R., eine Dame, die zwei Weltkriege überlebt, vier Kinder großgezogen und sechs Enkelkinder hat. Ich erlebte so einen „Grüne Tomaten“-Moment. Wer nicht weiß, was das bedeutet, dem sei hier der Film „Grüne Tomaten“ empfohlen... Zurück zu Clara: Sie erzählte mir, dass sie im dritten Stock wohne und es immer noch Gott sei Dank die Treppen hochschaffe. Dass sie einen Südbalkon hat und gegenüber von ihr eine etwas raffgierige Person wohne. Mit der Dame, die eine Etage tiefer eine Wohnung hat, würde sie ab und zu Rommé spielen. Während sie von ihrem Leben berichtete, musste ich an meine Großmutter denken, die auch in Rostock gelebt hat. Ich hatte auf einmal den Duft von frisch gemahlenen Kaffee in der Nase. Sah den blitzblank gebohnerten Fußboden in der Küche meiner lieben Oma. Erinnerte mich an ihre Balkonpflanzen. Hörte den Gong ihrer Standuhr. Eine Erinnerung purzelte über die nächste. Meine Großmutter hat mir auch beigebracht, dass Sprühregen gut für den Teint ist. Ich wurde richtig ein wenig sentimental, denn meine Oma lebt leider nicht mehr. Jedes Mal, wenn ich draußen unterwegs bin und Sprühregen fällt, ist meine Großmutter bei mir und sagt: „Dieser Sprühregen ist gut für den Teint.“ Wie oft habe ich das als kleines Mädchen gehört... Heute fiel auch so ein leiser sanfter Regen. Mir fiel das Gespräch mit Clara R. ein und ich blickte in die Vergangenheit. Ich merkte, dass ich selbst „alt“ werde, denn in mir kam eine Sehnsucht auf nach Standuhren mit Gong, Kaffeemühlen und Balkonpflanzen. In mir kam eine Sehnsucht auf nach meiner Oma. Plötzlich wurde mir klar, wie verbunden ich mit meiner Großmutter trotz all der vergangenen Jahre seit ihrem Tod bin. Danke, liebe Clara R.! Du hast mich erinnert. Danke, lieber Regen! Du hast mich erinnert. Es ist wahr, Sprühregen ist gut für den Teint. Ich habe schon eine Ewigkeit „fresh lotus water“-Spray im Bad stehen. Es wird einfach nicht alle, weil ich so gern im Sprühregen mit Amy und meiner Oma spazieren gehe... Ich erzählte einer Person, der ich vollkommen vertraute, von gesundheitlichen Problemen, die mich belasteten.
An den Füßen hatte sich das Ärgernis Gott sei Dank aufgelöst, aber nun machte es sich mitten in meinem Gesicht breit, direkt auf der Nasenspitze. Ein seltsames Gebilde, das ich hier nicht näher beschreiben möchte ... Es geht darum, wie mein Gegenüber reagierte und agierte: Dieser Mensch sah mir fest in die Augen und wies auf meine Nasenspitze und sagte energisch: „Da ist nichts!!!“ Wir gingen zur Tagesordnung über und arbeiteten an einem Projekt. Wir verabschiedeten uns, ich fuhr nach Hause. Der Abend verlief ganz normal, ich ging schlafen irgendwann. Tja, und am nächsten Morgen schaute ich in den Spiegel und da war nichts! Das war weder Schönreden noch Gutdenken. Es war etwas anderes: Anteilnahme und fast eine Beschwörung. Manche Menschen haben diese Gabe. Aber es gibt auch eine Kehrseite in dieser Angelegenheit. Dort wird wirklich Allerlei schöngeredet, was eine Katastrophe ist und gutgedacht, was gar nicht gut ist. Ein junges Mädchen hat seinen ersten Liebeskummer und ihm wird vor den Latz geknallt: „Ist nicht so schlimm. Stell’ dich nicht so an. Da kommen noch andere, bessere Jungs.“ Jemand wird gemobbt und bekommt zu hören, das sei eine tolle Möglichkeit zu wachsen und stärker zu werden. Eine Frau berichtet von einer Vergewaltigung. „Das hast du dir wohl für dieses Leben vorgenommen.“ Wie bitte? Wir müssen nicht alles wegstreicheln, wegtrösten oder weganalysieren, denn der Schmerz und auch die Verzweiflung gehören zum Leben dazu und wollen ernst- und angenommen werden. Vieles mag eine Illusion sein. Jedoch ist das Leben real. Wir mögen Energiewesen sein. Allerdings sind wir vor allem eins: Wir sind Menschen. Und wenn es weh tut, tut es weh. Schön, wenn wir das Gespür entwickeln, zu unterscheiden, wann ein forsches „Vorwärts!“ und wann unser schlichtes Mittragen einer persönlichen Herausforderung angebracht ist. Schön, wenn wir das achten, was die Personen in unserer Umgebung ausstrahlen und wir uns immer wieder bewusst machen, was wir selbst aussenden. Schön, wenn wir fühlen, was unser Gegenüber „braucht“ und was nicht. Ich werde die Begegnung, die ich eingangs geschildert habe, niemals vergessen. Da war nichts!!!! Und darin lag soviel ... ... reinste Nächstenliebe. Mir erzählte einmal eine Person, ich will es so neutral wie möglich halten, dass sie als Kind einen Hund hatte, den sie über alles liebte.
Sie verbrachte viel Zeit mit ihrem treuen Freund, der eine schwarze Schnauze und weißes Wuschelfell besaß. Ich persönlich finde sowieso, dass viele Kinder einen ganz besonders guten Draht zu Tieren haben. Sie ähneln sich einfach in ihrer unverstellten Art und das verbindet, schafft Vertrauen samt einer großen Portion Glück. Diese Person nun redete weiter über ihre Erfahrung mit ihrem Hund. Sie meinte, es war so furchtbar, als das liebe Tier verstarb; sie brauchte ewig lange, um sich von dem Schock zu erholen und ihn zu verarbeiten. Letztes ist ihr wohl nicht so gut gelungen. Denn: Sie beschloss, niemals wieder ein Tier in ihr Herz zu lassen. Niemals wieder. Sie hat es umgesetzt. Bis heute. Eine Mauer gebaut, eine Wand, oder was weiß ich. Und nicht nur gegenüber Tieren, sagt mir mein Gefühl. Schade für sie. Uns macht doch gerade unsere Verletzbarkeit, Berührbarkeit zu einem Menschen auf Augenhöhe mit seiner Umwelt. Sonst wären wir wie Roboter, wir würden perfekt funktionieren, aber es käme nichts rein und nichts raus. Weil wir mit Tieren sehr viel nonverbal kommunizieren, geschieht das meiste auf der Herzebene. Tiere bringen Sonnenstrahlen in unsere Seelen. Gerade wenn es dir mal nicht so gut geht, du gar nichts auf die Reihe bekommst, wird dein Tierfreund dich nie verurteilen. Er wird nicht zur nächsten Katze rennen und über dich herziehen. Oder seinen Koffer packen und dich verlassen. Er wird einfach bei dir sein. Wenn du ein Problem hast, das niemand mehr hören mag, dein Tier wird dich anschauen und sein Blick wird dir sagen: "Ich verstehe dich." „Die tiefe Stille der Hunde tröstet uns...“ Jean Michel Chaumont Als ich Maren kennenlernte, wusste ich nicht, auf was ich mich einließ.
Maren hatte schulterlanges Haar, ich trug einen Kurzhaarschnitt. Meine Freundin kleidete sich viel eleganter als ich. Durch sie inspiriert besitze ich einen coolen Trenchcoat, den ich ungefähr zweimal getragen habe. Ich hatte eine extravagante weiße Hose und eine passende Bluse dazu. Diese beiden Kleidungsstücke benutzte ich nie und gab sie weg. Meine Haare ließ ich wachsen. Ich wollte sie mir hochstecken können, so wie meine Freundin das tat. Maren hatte Nymphensittiche. Wir holten uns auch Nymphensittiche. Maren hat ihre verschenkt, weil sie ihr zu laut waren. Wir haben unsere Nymphies behalten. Maren zog vor etwa zehn Jahren weit weg und der Kontakt ist eingeschlafen. Die modebegeisterte Freundin ist aus meinem Leben verschwunden, aber ich habe jetzt seit mehr als fünfzehn Jahren lange Haare und die haben eine Art Seele bekommen. Meine Haare sind sogar noch länger als die von Maren damals. Und liebe Menschen, es ist eine Tragödie, wenn du merkst, dein Zopf ist zu einem Körperteil von dir geworden und du ahnst, wenn du ihn abschneidest, wird dir krass etwas fehlen. Ich hatte und habe einfach zu lange lange Haare. Davor sollte Frau oder Mann sich in Acht nehmen. Das ist ein Luxusproblem. Ich weiß. Trotzdem kann man das Ganze auch philosophisch betrachten. Ich habe einen Teil meiner Flexibilität verloren. Und je mehr ich darüber nachdenke, mir mangelt es an Spontanität, an Freude auf Überraschungen und Neugier, Freude über Veränderungen. Irgendetwas ist suboptimal gelaufen. Jünger werde ich auch nicht. Vielleicht halte ich deshalb an diesen langen Haaren fest... Ich bekam einen Zopf und nun ist er da. Er erinnert mich an meine Freundin, die vermutlich inzwischen zigmal ihre Frisur gewechselt hat. So kann es einem ergehen... Ich habe aufgehört, mich zu verändern. Das sagt mir mein Zopf. Ich muss gestehen, ich bin oft sehr kindisch. Wobei das ja nichts Schlechtes ist...
Bloß manchmal gewöhnungsbedürftig. Ihr kennt doch sicher das Gedicht vom Riesen Timpetu: Alwin Freudenberg Vom Riesen Timpetu Pst! Ich weiß was. Hört mal zu! War einst ein Riese Timpetu. Der arme Bursche hat - oh Graus - im Schlafe nachts verschluckt 'ne Maus. Er lief zum Doktor Isegrimm: "Ach Doktor! Mir geht's heute schlimm. ich hab' im Schlaf 'ne Maus verschluckt, die sitzt im Leib und kneipt und druckt." Der Doktor war ein kluger Mann, man sah's ihm an der Nase an. Er hat ihm in den Hals geguckt. "Wie? Was? Ne Maus habt ihr verschluckt? Verschluckt 'ne Miezekatz dazu. so lässt die Maus euch gleich in Ruh." Ich bin kein Riese und ich habe auch keine Maus verschluckt. Nein, ich habe ganz andere Sachen geschluckt. Gebetene und ungebetene Dinge, Materielles und Nicht-Materielles. Auf alle Fälle war eine ganze Menge Unverdauliches dabei. Vermutlich haben sich meine Eltern gefreut, als ich auf die Welt kam. Niemand hat sich aufgeregt oder geärgert. Ich war willkommen. Das muss ein schönes Gefühl gewesen sein. Dieses Gefühl hatte ich zwischenzeitlich verloren. Wir alle verlieren viel im Laufe unserer Jahre. Die Amplitude des Lebens schlägt mal in die eine, mal in die andere Richtung aus. Die Erfahrung, diese Gewissheit der grenzenlosen und tröstenden Liebe durfte ich unzählige Male in meinem Leben machen. Und ich mache diese Erfahrung auch immer wieder. Gott sei Dank. „Du bist willkommen hier, so wie du bist. Du brauchst dich nicht zu verstellen.“ Diese Erfahrung wünsche ich jedem Menschen. „Du bist willkommen hier, so wie du bist. Du brauchst dich nicht zu verstellen.“ Als ich meinem Arzt erzählte, dass ich eine Elfe sei, meinte er, dass es den Leuten besser geht, wenn man Tatsachen beim Namen nennt. Und lächelte mich an. Manchmal tut es einfach gut, dankbar zu sein für sein Leben. Ob als Elfe oder ganz normal als Mensch. Aber wie eingangs erwähnt, bin ich manchmal etwas kindisch... |
Inés Witt
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