Das Wort "Gehen" impliziert verschiedene Aspekte.
Man kann fortgehen. Eine Krankheit kann vergehen. Die Zeit. Oder eine Pflanze. Man kann sich bewegen von A nach B. Wandern. Wandeln. Pilgern. Hetzen. Eilen. Spazieren. Alles, was mit Bewegung zu tun hat, war mir achtzehn Monate erschwert. Teilweise unmöglich. Teilweise teils möglich. Im Zusammenhang mit einem "Überfall", einem "Zusammenprall" oder einer "Attacke" ist mir im Sommer vor einem Jahr etwas in den Körper und in die Seele gefahren, das mich gelähmt hat. Mich hat das körperlich extrem eingeschränkt. Erst konnte ich nur mit Krücken gehen. Später habe ich mir Meter für Meter meine Mobilität zurückerobert. Die Wege wurden länger, aber der Schmerz blieb hartnäckig. Das Ganze zog sich wahnsinnig in die Länge. Trotz Akupunktur und Physiotherapie. Ich nahm zunehmend eine fatalistische Haltung ein. Und gab mir ein Jahr Zeit. Dann sollte das blöde Drama vorbei sein. Das NichtGehenKönnenDrama. Aber die Zeit, die ich mir gegeben hatte, reichte nicht. Und ich begann andere Menschen beim Gehen zu beobachten. Ob sie leichtfüßig unterwegs waren. Oder nicht. Ob es ihnen bewusst war oder gleichgültig oder selbstverständlich. Dass sie einfach gehen konnten. Zu Fuß. Auf den Beinen sein. Unterwegs. Ich entwickelte einen besonderen Blick auf das Gehen. Ich trauerte meinem Gang von früher regelrecht hinterher. Wie einer verlorenen Jugend. Oder einer verlustig gegangenen Liebe. Einem geliebten Wesen, welches ich zu Grabe getragen habe. Zornig dachte ich an den "Überfall", den "Zusammenprall" oder die "Attacke". Ein weiser Mensch sagte mir, dass das keine gute Strategie sei. Diesen Satz konnte ich so stehen lassen. Meine Vergebungsfähigkeit ließ noch zu wünschen übrig. Aber der Satz war nun da. Dies war vermutlich Schritt eins. Schritt zwei kam zu mir als eine Eingebung, mich tapen zu lassen. Was folgte war Schritt drei: Mein Feld verlassen. Ich fuhr in den Urlaub. Dort stand Gehen an der Tagesordnung. Ich war nicht alleine unterwegs. Die anderen nahmen Rücksicht auf mich. Ich wiederum gab mein Bestes, was das Gehen anbelangte. Der Urlaub war so schön und inspirierend, dass es mir gelang, über meine Schmerzgrenze zu gehen. Immer wieder. Ja, und so unsichtbar und zart, fast schon heimlich geschah gefühlt plötzlich Heilung. Mein linkes Bein begann sich anzufühlen wieder wie mein eigenes. Ich konnte den Fuß irgendwann abrollen. Nach einhundert Metern spürte ich keinen stechenden Schmerz. Stattdessen eher eine leise Erinnerung. Für mich ist das ein großes Wunder. Ich hatte schon fast aufgegeben. Warum ich darüber schreibe? Weil ich Mut machen möchte. Gewisse Strukturen in unseren Körpern brauchen länger um zu heilen. Es hängt davon ab, ob es sich zum Beispiel um Knochenbrüche, Sehnenscheidenentzündungen, Muskelverkürzungen oder was weiß ich handelt. Es hängt auch davon ab, in welchem Zusammenhang eine Verletzung zustande gekommen ist. Und es hängt davon ab, welcher Mensch, welches Wesen betroffen ist. "Fragen Sie nicht, welche Krankheit die Person hat, fragen Sie lieber, welche Person die Krankheit hat." (Sir William Osler) Ausschlaggebend ist, wie unsere Seele das Ganze verarbeitet. Unsere Gedanken sind oft sehr schnell. Aber der Körper ist langsam. Die Seele kennt, glaube ich, keine Zeit. Der Körper ist langsam. Das habe ich begriffen. Die Seele kennt keine Zeit. Seiner Intuition zu folgen, ist eine Form dem Leben zu vertrauen. Comments are closed.
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Inés Witt
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