Sie weiß es nicht, wie und wann es anfing. Sagt sie.
Und sie weiß es ebenso wenig, wie und wann es aufhörte. Ihre Klasse hat sie ein Jahr lang "geschnitten". Was ist schon ein Jahr? Für einen jungen Menschen ist es seine Realität und sein auf eine gewisse Weise empfundenes "Für immer". Dieses "Schneiden", "Vermeiden" nennt man heutzutage Mobbing. Es gibt verschiede Arten von Mobbing, solches Verhalten gehört dazu. Aber Schneiden" ist anders, nicht wahr? Nicht so zerstörerisch wie Mobbing? Fragt sie. Nicht so schlimm? Irrtum! Sie war ein Kind, damals, wohl so zehn Jahre alt. Niemand sprach mit ihr. Darüber, dass sie geschnitten wurde, draußen war, allein. Dabei wollte sie einfach dazu gehören. Geliebt werden. Wie wir alle. Schneiden, was für ein Wort, was für ein Begriff... Schneiden tun sich manchmal Jugendliche. Dafür gibt es eine verniedlichende Bezeichnung, die ich hier lieber nicht verwende. Und ich gehe auch nicht näher darauf ein. Nur soviel: Wenn jemand sich schneidet, ob mit oder ohne Absicht (die meisten Unfälle geschehen in der Häuslichkeit) - schaue genau hin! Etwas steht der Person im Weg, oft sie selbst - oder es hat sich etwas zusammengebraut. Unsere Seele ist wie ein Vogelschwarm. Manchmal kommt ein Vögelchen abhanden. Es fehlt. Schmerzhaft. Wir sollten es retten. Das ist wichtig!!! Und wir sollten uns auch ebenso selbst retten. Wenn einschneidende Ereignisse in unser Leben treten, uns fragen, ob und woher uns die Situation bekannt vorkommt, wir uns an sie "erinnern". Wir dürfen dann (ich fordere nicht auf, ich lade ein) erkunden, wohin sich der verschreckte Vogel (weil evtl. Mobbing ihn vertrieben hat) sich versteckt hat und ihn fragen, was er braucht von uns, damit er zurückkehren kann zu unserem Seelenschwarm. Denn wir sind keine Vogelkinder mehr, wir sind erwachsene Vögel, gerne auch schräge, jedoch immer in der Lage, für uns selbst zu sorgen. Wer Hilfe braucht, sollte sie sich holen. Von professioneller Seite. Es gibt viele Menschen, die Unterstützung anbieten. Wer sucht, findet. Das Angebot ist groß. Ich habe das Gefühl, allein mit dem Einblick in das Thema "Geschnitten werden" eventuell einen Impuls zu geben an Menschen, die davon betroffen sind und dass es ihnen im besten Fall den Antrieb gibt, etwas anzuschauen, um aus einem Dilemma herauszufinden und heilsame Schritte in Angriff zu nehmen. Allein den Zusammenhang anzuerkennen zwischen "geschnitten werden" und "Schneiden" ist ein Heilweg. Mehr kann ich nicht tun. Auch meine Seele ist ein Vogelschwarm. Und meine Vögel sind weiß Gott nicht alle bei mir zu Hause. Die Tiefe sollte man achten. Die Verzweiflung sehen. Und die Hand reichen. Immer. Comments are closed.
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Inés Witt
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