Das ist jetzt ein etwas heikles Thema.
Warum? Weil es schwierig ist, einzuschätzen, was spirituell ist und was nicht. Weil es schwierig ist, zu sagen, ob Spiritualität per se überhaupt "gut" ist. Was sind das für Fragen... Nach meiner Meinung ist jedes Wesen spirituell. Jeder Mensch, jedes Tier, jede Pflanze, jedes Wesen. Es bedeutet nicht, Yoga zu praktizieren, zu räuchern und Mantras zu rezitieren. Kann es, muss es nicht. Möglich, dass es darauf ankommt, einfach zu sein. Und auf uns Menschen bezogen, ein liebender Mensch zu sein. Unsere Hündin ist eine wahre Lehrmeisterin. Wenn sie draußen ist, wird sie aktiv. Sie nimmt die Umwelt mit allen Sinnen auf und verliert sich im Hier und Jetzt. Ja, sie verschmilzt regelrecht mit dem Universum. Kaum zu Hause angekommen, fällt sie um und schläft ein. Es gibt nichts zu tun. Für sie. Auf dem Foto oben ist auch eine Katze zu sehen. Im Hintergrund, etwas mystisch. Dass Katzen Zenmeister sind, ist fast überflüssig zu erwähnen. Ach, und die Schnecke? Was ist das für ein Wunder? Ästhetische Langsamkeit, Verletzlichkeit unterwegs - stets mit einem kleinen Schloss auf dem Rücken. Eine unorthodoxe Prinzessin, oder Königin. Oder oder... Nebenberuflich Architektin. So und nun kommen wir zu den Aalen. Ich lese gerade das Buch "Das Evangelium der Aale" von Patrik Svensson. Es beginnt mit einem Spruch: "Later in the same fields He stood at night when eels Moved through the grass like hatched fears" (Seamus Heaney) "Später in den gleichen Feldern Er stand nachts als sich die Aale wie ausgebrütete Ängste durch das Gras bewegten" Was habe ich mir nun angelesen? Et voilà: Allein die Geburt der Aale galt lange als Rätsel. Inzwischen weiss man, dass die europäischen Aale im Frühling im nordwestlichen Atlantik, genauer gesagt: in der Saragossasee, laichen, ihre Eier ablegen und diese befruchten. Irgendwann schlüpft eine winzige durchsichtige Larve, die sich auf eine weite Reise begibt. Wenn sie an der europäischen Küste ankommt, ist sie inzwischen zu einem Glasaal herangewachsen. Zu einem gläsernen Aal. Später geht die Wanderung gen Süßwasser und dann färbt sich der Aal zu einem Gelbaal. Dieser zieht weiter durch Flüsse und Bäche, aber auch über Wiesen hinweg... Wer hätte das gedacht, daher am Anfang das Zitat von Seamus Heaney. Ein Fisch, der sich über das Festland bewegen kann. Ein Tier, das Fisch ist, aber auch Schlange. Auf eine gewisse Art. Besonders faszinierend ist dann Folgendes: Er beschließt eines Tages, angekommen zu sein und bleibt viele Jahre an einem Standort. Fünfzehn bis dreißig Jahre lebt der Aal als Eremit. Bis er plötzlich beschließt, dass die Zeit gekommen ist, sich fortzupflanzen. Dann wechselt er ein viertes Mal sein Äußeres, wird zum Blankaal und zieht wieder in den Atlantik heraus. Und als interessante Krönung der Entwicklung dieses fabelhaften Tieres: Während der letzten Etappe löst sich der Verdauungsapparat des Aales auf und seine Geschlechtsorgane bilden sich erst jetzt heraus. Ich dachte immer, Frösche machen die eindrucksvollste Metamorphose durch. Nein, der Aal lässt in meinen Augen die Zustände von Materie und Nichtmaterie miteinander fusionieren. Was nicht gebraucht wird, verschwindet. Und um seinen Lebenssinn zu erfüllen, sich zu erhalten in seiner Art, erschafft er in seinem Leib die Vorraussetzungen dafür. Er findet sich erneut in der Saragossasee ein und der Kreis schließt sich. Eine wahre Heldenreise endet und beginnt im selben Augenblick. Mit menschlichen Augenmaß betrachtet ist der Aal ein sehr spiritueller Fisch. Und wie gesagt, er hat Eigenschaften eines Fisches und die einer Schlange. Aber er ist Fisch, er wurde von den Wissenschaftlern so eingeordnet im Reich der Tiere. Wenn ich solche Geschichten lese, vergeht mir echt der Appetit auf Aal. Was dazu führt, dass ich noch mehr keine Tiere essen mag. Und selbstverständlich erfülle ich damit ein wichtiges, landläufiges Kriterium des sogenannten spirituellen Menschen. Hmm. Ein wenig Selbstironie. Denn nach meiner Meinung ist jedes Wesen spirituell. Jeder Mensch, jedes Tier, jede Pflanze, jedes Wesen. Aber der Aal besonders. "Later in the same fields..." Comments are closed.
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Inés Witt
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