Neulich fiel bei mir in einem Online-Kurs der sprichwörtliche Groschen.
Es ging um Adjektive und Adverbien, die etwas hervorheben, unterstreichen wie: "unglaublich", "sehr", "besonders", "extrem"... Es ging um einen aus meiner Sicht recht dramatischen Bericht, der viele dieser "Verstärker" beinhaltete. Eine Teilnehmerin teilte ihre Geschichte mit uns. Die Leiterin des Workshops setzte den Impuls, doch mal alle diese steigernden Zusätze wegzulassen. Ich las nun diese Beschreibung ohne die Potenzierungen und es wurde schlichtweg eine Schilderung von Erinnerungen und Erlebnissen. Aus dem dramatischen Bericht wurde eine Erzählung. Oh, sofort musste ich an mich denken! Wie ich die Dinge sehe und beschreibe in meinem Umfeld: oft durch eine verzerrende Brille. Dadurch, dass ich unangenehme Sachverhalte noch betone, lege ich meinen Fokus darauf und weil die Energie den Gedanken folgt, mache ich Vieles schlimmer, als es eigentlich ist. Das Getuschel da eben galt mir, nicht wahr? (So ein Mist, niemand mag mich!) Der Hexenschuss bringt unheimliche Schmerzen mit sich. (Das halte ich nicht aus!) Ich habe die letzten Monate schrecklich viel zugenommen. (Ich bin fett!) Meine Haare habe ich extrem kürzen lassen. (Wie dumm von mir!) Die Maskenpflicht vergällt mir absolut den Gang in die Stadt. (Wie schrecklich!) Meine Haut reagiert unglaublich empfindlich auf die Sonne, so dass ich oft einen unfassbar starken Sonnenbrand hatte. (Hätte ich doch eine dunklere Haut!) Ich habe als Jugendliche krasse, waghalsige Bergtouren unternommen. (Wie leichtsinnig!) In der Schule war ich schon immer völlig anders, als es von mir erwartet wurde. (Genau, ich war ein Außenseiter! Siehe oben, keiner mag mich!) Ich konnte damals bereits viel, viel mehr sehen als nur das uns real Umgebende. (Ich Träumerle!) Mit elf Jahren hatte ich eine fürchterliche Lungenentzündung. (Fast wäre ich gestorben! Viel hat nicht gefehlt!) Jetzt mal sachlich: Da wird geredet. (Okay.) Ich hatte einen Hexenschuss. (Das wird vergehen.) Während der letzten Monate habe ich 2 kg zugenommen. (Na, und?) Von meinen Haaren habe ich ca. 10 cm abgeschnitten. (Die wachsen wieder.) Wegen der Maskenpflicht gehe ich seltener in die Stadt. (Ich kann es nicht ändern.) Ich habe eine sonnenempfindliche Haut. (Das kann ich auch nicht ändern. Sonnenschutz nehmen.) Als Jugendliche habe ich Bergtouren unternommen. (Hat Spaß gemacht, ich liebe die Natur.) In der Schule war ich nicht jemand, der im Mittelpunkt steht. (Kann nicht jeder im Mittelpunkt sein.) Ich war ein feinfühliges Kind. (Ist doch schön.) Mit elf Jahren hatte ich eine Lungenentzündung. (Ja, hatte ich.) Ganz nebenbei wird das Drama aus meinen Erinnerungen verabschiedet. Ganz nebenbei wird das Drama auch aus meiner jetzigen Wahrnehmung genommen. Die Dinge sind, wie sie sind. Wenn ich nicht überall etwas herein interpretiere, wird das Leben leichter. Ich trage keine imaginären Rucksäcke mit den Titeln "womöglich" oder "hätte, wäre, könnte". Ich bewerte nicht alles und jeden um mich herum. Das tut mir gut. Auch den Beziehungen zwischen meinen Mitmenschen und mir. Und den anderen tut es ebenfalls gut. Wer hat schon Lust, als Projektionsfläche für die Befindlichkeiten von sonstwem gebraucht zu werden? Ich bin ich. Und du bist du. Das ist so. Gut. Ein herzliches Dankeschön an Mirjana Petricevic und die "Wilden Weiber"! Comments are closed.
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Inés Witt
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