In Dresden gibt es ein Villenviertel mit dem Namen "Weißer Hirsch".
Dort stehen in der Nähe hoher alter Bäume schöne Häuser, deren beste Zeit jedoch schon eine Weile zurück liegt. Jetzt verfallen etliche dieser Immobilien wegen ungeklärten Eigentumsverhältnissen oder anderen offenen Rechnungen mit mehreren Unbekannten. Das oftmalige Schicksal von Besitztümern. Früher heiß begehrt. Jetzt eine Häufung von Problemen. "Monde und Jahre vergehen, aber ein schöner Moment leuchtet das Leben hindurch", schrieb einst der österreichische Dichter Franz Seraphicus Grillparzer. An den Weißen Hirsch wurde ich erinnert durch ein weißes Reh. Ich war mir erst nicht sicher, ob es dasselbe ist, das ich vor etwa anderthalb Jahren am Waldrand erspäht hatte. Damals traute ich zuerst meinen Augen nicht, ich dachte, es sei ein kleines Pferd. Aber dann sah ich die anderen Rehe und sie verschwanden zusammen im Nebel auf einem weitläufigem Feld. Vor einigen Tagen war ich genau in diesem Waldstück mit unserer Hündin Amy unterwegs. Es hatte gerade geregnet. Die Erde atmete Dunstschwaden aus. Das gab der Stunde einen mystischen Zauber, welcher bedauerlicherweise nicht lange anhielt. Mir kam eine Menge Leute entgegen mit vielen Hunden, die laut durcheinander bellten. Wer einen Hund hat, weiß wie blöd das laufen kann, wenn eine Meute fremder Hunde den eigenen einkreist. Die Besitzer finden das meist amüsant und sagen, dass die das unter sich ausmachen können. Fließt Blut, war es nimmer das eigene Tier, das zugebissen hat. Kurzum: Ich machte die Biege und verzog mich mit Amy in's Dickicht, stapfte über verrottete Äste, kletterte durch das Gelände und war grimmig auf mich und die Welt. Wieso kann ich mich oft dermaßen schlecht durchsetzen? Im Gestrüpp des Waldes gelang mir das wenigstens und irgendwann kamen meine Freundin im Fell und ich auf eine Lichtung. Und da geschah es! Ein Reiter auf einem weißen Einhorn lächelte mir zu und versprach zu den Menschen zu reiten und ihnen Bescheid zu geben, dass sie gefälligst achtsamer durch Wald und Flur spazieren sollten. Verschwörerisch zwinkerte mir das Einhorn zu und mein Herz machte Freudensprünge des Glückes. Ach, Spaß beiseite.. Wobei, eines Tages wird es genau so geschehen, denn ich bin oft dort, wo man sonst nicht hingelangt. An Plätzen, wo Wunder möglich sind. Da, wo die Monde und die Jahre noch Geschichten erzählen, wo in den kleinen Blumen die Elfen schlafen, wenn sie nicht gerade in den Sonnenstrahlen tanzen. An Orten, die niemanden gehören. Und wenn, dann höchstens den Tieren und Waldhütern, die ebenda hausen. An Stätten, die sich dem Jahreslauf hingeben, im Werden und Vergehen, deren Wert für alle Zeiten erhalten bleiben wird, sofern nicht der Mensch eingreift und zum Beispiel ein Villenviertel baut. Also zur Realität... In Wirklichkeit zeigte sich mir das weiße Reh. Es stand lange einfach da und schaute mich an. Amy war an der Schleppleine, sonst wäre die Idylle schnell vorbei gewesen. Das weiße Reh hatte wunderschöne Augen, wie auf dem Foto über dem Text. Lange helle Wimpern umrandeten die beiden treuen braunen Lichter im Gesicht dieser Schönheit. "Ach, wie wundervoll, dass du noch lebst!", flüsterte ich. "Ja, es ist nicht einfach, ich falle zu sehr auf", kam die Antwort. "Zum Glück gibt es die anderen." "Wo sind sie denn?" "Du siehst sie nicht, sie verstecken sich. Sie müssen mich nicht beschützen, denn du bist wie ich. Du tust mir nichts. Außerdem sieht dein Hund ein wenig aus wie ich." "Es ist trotzdem besser, wenn ich sie an der Leine lasse, sie ist ein Jagdhund mit erheblichen Fuchsanteilen, deshalb ist Amy auch sehr wild." Da fiel mir ein, dass der Fuchs eins meiner liebsten Krafttiere ist und der Fuchs immer einen Weg findet. Wenn es sein muss, sogar zu einem märchenhaften weißen Reh. Tja, so war das inmitten der Natur mit dem weißen Reh. Ich dankte im Stillen den Menschen, von denen ich mich hatte vertreiben lassen. Denn weiße Rehe und Hirsche zeigen sich selten und man findet sie meistens nur an Orten, wo sich kaum jemand hinbegibt. An Plätzen, wo Wunder möglich sind. Da, wo die Monde und die Jahre noch Geschichten erzählen, wo in den kleinen Blumen die Elfen schlafen, wenn sie nicht gerade in den Sonnenstrahlen tanzen. An Orten, die niemanden gehören. Und wenn, dann höchstens den Tieren und Waldhütern, die ebenda hausen. An Stätten, die sich dem Jahreslauf hingeben, im Werden und Vergehen, deren Wert für alle Zeiten erhalten bleiben wird, sofern nicht der Mensch eingreift und zum Beispiel ein Villenviertel baut... Comments are closed.
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Inés Witt
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