Es ist schon faszinierend, was das Leben langfristig mit uns Menschen macht, bzw. was wir mit uns machen lassen.
Zwischen den Jahren, wie man so sagt, war ich bei einem Klassentreffen. Wenn ich darüber berichte, werde ich darauf achten, dass ich niemanden bloßstelle, auch wenn ich mir ziemlich sicher bin, dass es keiner aus der Klasse lesen wird. Meine Erfahrung war Folgende: Diejenigen, denen ich mich sehr nahe wähnte, verschwanden in der Masse. Und im Gegenzug rückte die „Masse“ in mein Herz. Meine beste Freundin von damals interessierte sich nicht sonderlich für mich, ebenso mein bester Freund. Letztendlich saß ich daneben und die beiden unterhielten sich bestens. Mir wurde klar, dass ich nicht mehr dazu gehörte. Das ist heftig, wenn du merkst, du bist raus. Das Geschenk offenbarte sich augenblicklich. Ich schaute in viele lachende und freundliche Gesichter. Die Fotos, die ich machte, waren unterbelichtet. Einfach zu dunkel. Und genauso hatte ich möglicherweise meine Klassenkameraden bisher nicht wirklich angesehen. Nun drehte sich an diesem Abend das Karussell und die Mannschaft wurde ausgewechselt. Zuerst tat es sehr weh und machte mich betroffen. Aber dann merkte ich, jetzt, wo ich raus bin, kann ich die „Anderen“ besser wahrnehmen: Menschen, die reifer werden und weiser als Reisebegleiter aus der Ferne. Wie schön, dass wir uns immer wieder in gewissen Abständen begegnen! Wie schön, dass es euch gibt! Ob ich wohl die Einzige bin, der es so geht? Machen uns die Jahre zu anderen Menschen? Öffnet die Zeit uns die Augen? Oder ist meine veränderte Wahrnehmung einfach vorprogrammiert gewesen, weil das einzig Beständige die Wandlung ist? Spielt Desillusionierung eine Rolle dabei? Was ist real und was geschieht ausschließlich nur in meiner Phantasie? Wer weiß? Jetzt bin ich ein wenig gescheitert und gescheiter, wobei auch das nicht die vollkommene Wahrheit ist. Es wird wieder in einigen Jahren ein Klassentreffen geben und ich kann dann aus meinem veränderten Blickwinkel den Vogelschwarm bestaunen, der sich für kurze Zeit in einer Gaststätte niederlässt um sich im Anschluss in alle Windrichtungen zu zerstreuen... Die Reise geht weiter.
Sabine
4/1/2019 03:05:01 pm
Liebe Ines, so kann es manchmal geschehen, es tut mir leid dass du es so erlebt hast. Unsere Klassengemeinschaft in einem reinen Mädchengymnasium Ende der 60er, Anfang der 70er war eher eine jahrelange Feindschaft, heute würde man sagen, dass die Clique, die sich als Elite empfand, Betrieb reinstes Mobbing, Eltern waren machtlos Lehrerinnen kümmerten sich nicht. Der Rest der Klasse duckte sich, wir waren lauter Einzelgängerinnen. Schulwechsel war damals nicht so einfach, meine Eltern wollten unbedingt, dass ich die Matura (Abitur) mache. Ich war immer sehr sensibel, dachte, ich sei die Einzige, die so unglücklich war. Die ersten Maturatreffen war ich zaghaft dabei, es spielte sich noch immer so ab wie in der Schule. Ich habe nun an mir gearbeitet und die Vergangenheit bzgl Schule loszulassen versucht, meine Opferrolle gehen lassen und beim 40 jährigen Treffen 2015 alle persönlich angeschrieben obwohl ich nicht die Organisatorin war und meine Erinnerungen schrieb jedoch versöhnen und die Hand reichend. Ich habe so viele erstaunte, herzliche und bestätigende Rückmeldungen bekommen die mein Herz erwärmt haben. Auch habe ich zwei Kolleginnen dazu gebracht das erste Mal nach 40 Jahren dabei zu sein und das Treffen war so offen und herzlich wie noch nie. Es gab aber auch Schulkolleginnen, die nicht kommen wollten, sich aber mit mir treffen wollten. Mit einigen bin ich schon vier Jahre davor in die Volksschule, wie es bei uns in. Österreich heißt, also Grundschule gegangen und da habe ich ein Volksschultreffen organisiert, mir viel angetan, alte Klassefotos kopiert und viele Erinnerungselemente für jede zusammengestellt und jeder überreicht, es war sehr berührend.
Ines Witt
5/1/2019 08:19:46 pm
Liebe Sabine, vielen Dank für deine Erzählung! Comments are closed.
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Inés Witt
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